Abitur für Hartgesottene

Wann immer über Fernstudiengänge gesprochen wird, heißt es: dafür bedarf es Disziplin und Durchhaltevermögen.

Was einem nicht gesagt wird, ich aber als Student mittlerweile weiß: der Fernlehrgang Abitur (ob nun mit oder ohne Wiederholung) ist extrem anspruchsvoll.
Das klingt nun erst mal gut, weil niemand eine Larifariausbildung wünscht, aber der Stoff ging weit über das hinaus, was an staatlichen Präsenzschulen gelehrt wird.

Vollständige Induktion in Mathematik ist ein gutes Beispiel: trocken im schwierigen Mathematikersprech erklärt, soll man Beweisführung lernen und anwenden können. Was sonst an einer Universität im Studiengang Mathematik (Diplom) gelehrt wird, kredenzt die ILS einem Realschüler auf.

Zum besseren Verständnis: ich habe mich am Fernabitur (erfolglos) zwischen 2003 und 2006 versucht und dabei gut 2/3 der Unterlagen bewältigt. Gut vorbereitet habe ich mich jedoch nicht gefühlt, weil die ILS auch keinen Finger rührt einem zu sagen, was so im Abitur überhaupt drankommt. Das heißt nicht ganz: man kann teure, kostenpflichtige Vorbereitungskurse vor Ort besuchen, in denen man dann im Blitzdurchgang alles erklärt bekommt.

Ich habe meine Fachhochschulreife einjährig dann an einer staatlichen Oberschule Fachrichtung Technik nachgeholt und habe bei weitem nicht das schwierige Niveau gehabt wie bei der ILS.

Mittlerweile studiere ich und hatte Mathe 1 & 2, sowie Physik 1 & 2 an der Hochschule und bestanden. Als ich für Physik 2 lernte, kramte ich mal wieder ein altes ILS-Heft raus, das ich (erfolgreich) abschloss und ich kann nur sagen, dass das Niveau weit über dem meines jetztigen Studiengangs liegt. Inhalt, Fülle und Form übertreffen das Maß was an meiner FH gelehrt wird.

Ich halte es für absolut kontraproduktiv ein Niveau für das Fernabitur anzusetzen, das selbst mir (Fachhochschulreife, Kurz vor Ende des Studiums) heute größte Probleme bereitet.
Die Lerninhalte sollten meiner Einschätzung nach fokussiert aufs Wesentliche sein: In Mathe streichen wir Reihenbildung, Vollständige Induktion und so weiter und konzentrieren uns auf Infinitesimalrechnung, Kurvendiskussion und Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Natürlich kann man auf der anderer Seite sagen, dass wenn man das Abitur denn bestanden hat, wirklich enorm gut vorbereitet ist für ein Studium an einer Hochschule und der Lernaufwand an dieser wesentlich geringer, inhaltlich einfacher ist.


Kurz noch zur Betreuung, Online-Campus und dem Preis:

Allgemein gab es wenig Kontakt zu Dozenten, man beschränkte sich aufs Wesentliche: Korrektur. Eine Frage und die Antwort, die mal über das hinausging, war schwierig, langwierig und in aller Regel wenig hilfreich.

Einmal gab mir ein Korrektor in Englisch eine 6, weil ich seiner Meinung nach eine Geschichte nicht selbst geschrieben hätte, was nicht stimmte, mit der Begründung, dass die Geschichte zu professionell geschrieben sei. Ich habe mir für die Geschichte viel Zeit genommen und wirklich Spaß daran gehabt. Auf meinen erbosten Protest hin, bekam ich dann eine 3. So wurde auch das bißchen Spaß vereitelt.

Der Onlinecampus war zu meiner Zeit rudimentär und wenig nutzbar, das mag heute wohl anders sein gute 5-10 Jahre später, weswegen ich auch nur für meine Zeit bewertete. Der Preis ist in meinen Augen zwar wirklich hoch, aber durch die Organisation an der Fernschule vor Ort wohl gerade noch rechtfertigbar.